Die Geschichte des Radsportes in Coburg
Der Initiator
Die Radrennbahn am Ketschenanger in Coburg hat eine faszinierende Geschichte, die bis ins Jahr 1884 zurückreicht. In diesem Jahr wurde der Radler Verein Coburg e.V. gegründet und Carl Balzer, ein Coburger Kaufmann und späterer Stadtrat, übernahm den Vorsitz. Er besaß ein Ladengeschäft im Steinweg 14 und verkaufte ab 1882 Nähmaschinen, später Fahrräder und Anfang des 20. Jahrhunderts Automobile. Er war eine bedeutende Persönlichkeit im Bereich des Coburger Radsports.
Balzer nahm in den 1880er Jahren selbst an verschiedenen Radrennen auf dem Tricycle teil. Er trat der Allgemeinen Radfahrer Union mit Sitz in Fürth/Nürnberg bei, ein Vorgängerverband des heutigen Bund Deutscher Radfahrer. In der dortigen Vorstandschaft war er als Beisitzer tätig und wurde 1893 I. Haupt Consul für das Haupt Consulat Thüringen der Allgemeinen Radfahrer Union. Am 01.08.1892 fand sogar der VII. Congress der Allgemeinen Radfahrer Union in Coburg statt.
Die Radrennbahn am Ketschenanger
Bereits im Jahr 1885 wurde ein Pachtvertrag zwischen Carl Balzer und der Stadt Coburg abgeschlossen, der eine „größere Wiese am Ketschenanger“ umfasste und bis 1914 gültig war. Im Zuge dieses Vertrags wurde 1886 die Radrennbahn am Ketschenanger mit einer Gesamtlänge von 400 Metern gebaut. Laut Werbeanzeigen aus der Zeit, durfte die Kundschaft des Carl Balzer kostenlos die bei ihm erworbenen Fahrräder auf der Radrennbahn fahren. Für Nichtkunden war die Nutzung kostenpflichtig. Die Eröffnung der Bahn fand am 30. Mai 1886 mit einem aufregenden Rennen statt. Die „Coburger Zeitung“ vom 31. Mai 1886 berichtete sehr ausführlich darüber. Das „Pfingstrennen“ wurde eine echte Institution in Coburg, vergleichbar vielleicht mit dem heutigen Samba Fest. Es fand jährlich am 1. und 2. Pfingstfeiertag statt und lud zu Musikkonzerten der „Militärcapelle“ auf Schloß Rosenau oder zum großen Radfahrer Corso durch die Coburger Innenstadt ein. Die Siegerehrung fand regelmäßig in der „Wilhelmshöhe“, einer ehem. wohl sehr vornehmen Gastwirtschaft am Festungsberg, statt.
Beim Velociped-Wettrennen 1897 wurde zu einer Abendveranstaltung der vermutlich erste Weltmeister im Kunstradfahren, Gustav Marschner aus Bautzen, eingeladen. Nach seiner Vorführung waren die Besucher vor Begeisterung kaum auf den Stühlen zu halten, weiß die Coburger Zeitung in ihrem Nachbericht zu berichten. „Zu den diesjährigen Pfingstrennen (Anm. 29.05.1898) haben die Firma Opel in Rüsselsheim und die Deutschen Triumph-Fahrradwerke in Nürnberg je einen prachtvollen Ehrenpreis gestiftet“, steht es in der Coburger Zeitung in diesem Jahr. Beweist das doch welche Reichweite die Radrennen in Coburg hatten.
Die Pacht des Geländes am Ketschenanger ging nach Ablauf des Vertrags 1914 an die Coburger Turngenossenschaft 1861 e.V. (später Coburger Turnerschaft 1861 e.V.) über. Nach dem I. Weltkrieg erfolgte schlussendlich der Abbruch der Bahn und die Coburger Turngenossenschaft baute in den Folgejahren auf dem Gelände Sport- und Tennisplätze. (Quelle: Dr Christian Boseckert)
Die Radrennbahn am Ketschenanger spielte eine bedeutende Rolle in der Entwicklung des Radsports in Coburg. Ihre Gründung und Nutzung in den späten 19. und frühen 20. Jahrhunderten spiegeln die Begeisterung und das Interesse der Gemeinschaft für den aufstrebenden Radsport wider. Einige Quellen sprechen von bis zu 10.000 Besuchern, darunter u.a. Ernst II. Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha oder auch Alfred von Sachsen-Coburg und Gotha, der Enkel der britischen Königin Victoria und des Zaren Alexanders II. Trotz des Abbruchs der Bahn bleibt die Erinnerung an diese historische Stätte als Teil des reichen Erbes des Coburger Radsports erhalten, denn 1921 führte der neu gegründete Radler Touren Verein 1921 Coburg e.V. die Tradition fort. Allerdings war Mittelpunkt des Vereinslebens nicht mehr eine Radrennbahn, sondern vielmehr das Radwandern.
Eine zweite Bahn am Floßanger? Beweise fehlen
Zwar halten sich Gerüchte über die Existenz einer zweiten, späteren Bahn im Bereich Floßanger. Hier fehlen aber defacto die Beweise vor Ort. In der Online Datenbank des Architekturbüros Schürmann findet sich ein Eintrag (Nummer 9), der den Bau einer 250 Meter langen (Beton-) Rennbahn im Jahr 1929 in Coburg verzeichnet. Das Architektenbüro Schürmann ist das seit 1925 weltweit führenden Architekturbüro für Radrennbahnen. Auf Anfrage bei Ralph Schürmann, dem Enkel des vermeintlichen Erbauers, Clemens Schürmann, fehlt jedoch leider genau diese Akte „unserer“ Bahn.
Auf einigen Luftaufnahmen lässt sich zwar eine Bahn in der Nähe des „Hindenburgbades“ (heute Aquaria) erkennen. Eine Vermessung der Aufnahmen ergab aber, dass es sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit NICHT um eine Radrennbahn, sondern um eine 400 Meter Leichtathletikbahn handeln muss. Auch die Auswertung diversere Landkarten aus verschiedenen Jahrzehnten um die Jahrhundertwende brachte keine Radrennbahn im Bereich Hindenburgbad zu Tage.
Insgesamt bleibt der Bau der „neuen“ Rennbahn in Coburg ein faszinierendes Kapitel der Sportgeschichte, das jedoch durch die fehlende Akte und die damit verbundenen Unklarheiten weiterhin Raum für Forschung und Entdeckungen bietet.
Die Zukunft
Im Jahr 2019, fast genau 100 Jahre nach dem Radler Verein 1921 Coburg e.V., wurde mit dem Team CORA – Coburger Radsport e.V. die erneute Grundlage für den Radsport in und um Coburg gelegt. Nicht zuletzt die Corona Krise und der Drang der Leute nach Draußen, verschafften dem jungen Verein einen Mitglieder Zuwachs im dreistelligen Bereich innerhalb der ersten drei Jahre. Damit sind also auch die Grundlagen für die weitere Geschichte des Radsportes in Coburg gelegt.
verf. Michael Beck, Gründungsmitglied Coburger Radsport e.V.